Jeanette Merkel und Frank Gleitzel sind Sachverständige in Sachen Barrierefreiheit. Nicht nur ihre körperlichen Beeinträchtigungen haben sie dazu gemacht. Beide arbeiten u.a. in der AG Bau des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und beraten die Stadt bei öffentlichen Baumaßnahmen. Zusammen mit den Grünen liefen sie in diesem Sommer im Rahmen des Stadtspaziergangprogramms eine Teststrecke ab, die am Hauptbahnhof startete und im Stadtgarten endete.
Schon der Eingang in die Innenstadt entpuppt sich an der ersten prominenten Kreuzung am Hbf gegenüber des Hansa-Hauses insbesondere für sehbehinderte Mitmenschen als gefährlich. Keine Blindenspur führt zum Übergang über den stark befahrenen Ostwall, kein akustisches Signal ertönt, wenn die Fußgängerampel auf grün springt und das bei einer breiten Kreuzung mit Schienen- und Busverkehr in beide Richtungen. Zu allem Überfluss schaffen es nur die wenigsten innerhalb der knapp bemessenen Grünphase die andere Straßenseite zu erreichen. Dort angekommen bleiben Blinde ohne Orientierungshilfe. Sie sind auf die Unterstützung von Passanten angewiesen. Einheimische können bestenfalls auf ihren inneren Stadtplan vertrauen, wenn sie über die Hansastraße das westliche Trottoir des Ostwalls erreichen wollen.
Erst ab Hausnummer 32 ist der Bürgersteig modernisiert und mit einer Blindenleitspur ausgestattet, die dann sicher zu allen weiteren Übergängen führt. Leider fehlt an der Kreuzung Ostwall/Südwall wieder das akustische Signal. „Wenn die Technik defekt ist, muss ich aus dem Verkehrsfluss heraushören, wann ich die Straße überqueren kann“, meint Frank Glatzel, der in frühster Kindheit erblindete. „Bei E-Fahrzeugen wird es allerdings schwierig, weil ihre Fahrgeräusche kaum hörbar sind.“
Wir biegen in die Stephanstraße ein. Am Dr. Hirschfelder-Platz vorbeikommend weist Jeanette Merkel auf die zu starke Neigung des schmalen Gehwegs zur Straßenrinne hin. „Wer hier mit einem manuell betriebenen Rollstuhl entlang rollt, muss sich echt anstrengen, um nicht auf der Straße zu landen“, bemerkt sie. Jeanette Merkel ist durch eine fortschreitende Muskelerkrankung auf einen Elektro-Rollstuhl angewiesen.
Am Anne-Frank-Platz angekommen biegen wir in die Mühlenstraße ein. Die schön anmutende historische Pflasterung hat für Gehbehinderte leider ihre Tücken. „Vor allem dann, wenn es sich um grobe Basaltsteine mit breiten, ausgewaschenen Fugen handelt. Da bleibt man auch schon mal böse stecken, so wie hier oder an der Mennoniten-Kirch-Straße“, weiß sie.
Vorbei an der Baustelle Et Brökske, die durch unvermittelt auf der Fußgängerzone parkende Fahrzeuge immer unangenehme Überraschungen bereit hält, gelangen wir zur Kreuzung Marktstraße/Breite Straße. Auch diese nördliche Ampelanlage bleibt stumm. Für Blinde könnte die Orientierung am Verkehrsfluss eine Falle darstellen, da die aus der Marktstraße kommenden Fahrzeuge hier verzögert einbiegen.
Mit dem Joseph-Beuys-Platz sind Glatzel und Merkel hoch zufrieden. „Leider beachten die Gastronomen nicht immer die 1 Meter-Abstandsregel zur Blindenleitspur und stellen ihre Sonnenschirme oder Möbel auf oder zu dicht an die Markierung.“ Das ist auch hier festzustellen.
Weiter geht’s auf dem Westwall. „An Werktagen muss ich mich oft an abgestellten Fahrrädern oder Mülltonnen vorbei quetschen“, erklärt Jeanette Merkel. „Und dieser Motorroller steht seit Monaten auf dem Bürgersteig“, ergänzt Frank Glatzel. Beim Überqueren der mit Ampeln ausgestatteten Kreuzung Westwall/St. Anton Straße weist er ein weiteres Mal auf das Fehlen des Singnaltons bei Grün hin. Defekte oder veraltete Anlage?
Auf der Gartenstraße wird deutlich, was bei vielen Trottoirs in der Innenstadt, aber auch in Hüls oder Uerdingen oft der Fall ist: Die schmalen Bürgersteige stellen Rollstuhlfahrer:innen sowieso schon vor enorme Herausforderungen.
Zusätzlich verengen Verteilerkästen und Beleuchtungsmasten an unzähligen Stellen den knappen Durchgang. Aber damit nicht genug: Mülltonnen oder Fahrräder machen nicht selten ein kräftezehrendes Slalomfahren notwendig. Verzweifelte Rollstuhlfahrer:innen wie Jeanette Merkel weichen auf die Straße aus. Die Vielzahl der Hindernisse überfordert zuweilen auch den blinden Frank Glatzel.
Zum Schluss geht es in den Stadtgarten. Beim Ausklang im Non Olet erfahren die Teilnehmer:innen noch viel Wissenswertes aus dem komplizierten Leben eines behinderten Menschen.
Jeanine Merkel und Frank Glatzel würden der Stadt eine Gesamtnote von 2- 3 für die Barrierefreiheit geben. Allerdings muss die Stadt die Funktionstüchtigkeit der akustischen Signalanlagen viel öfter kontrollieren und Defekte zeitnah beseitigen!)
Wenn man allerdings den ÖPNV hinzunimmt, dann sackt die Beurteilung gleich um eine ganze Note ab. Das liegt hauptsächlich am schleppenden Umbau der veralteten Haltestellen. Mit viel Glück könnte es im Jahre 2038 soweit sein, dass alle Haltepunkte in Krefeld barrierefrei sein werden, so lautet die inzwischen wohl schon veraltete Prognose der Verwaltung aus dem Jahre 2021.
Der nächste Stadtspaziergang findet am 26. August zum Thema barrierefreie Stadt statt. Interessierte können sich per E-Mail an gruene-fraktion@krefeld.de mit Angabe ihrer Telefonnummer anmelden.