ANTRAG

Silvester in Pandemiezeiten sicher gestalten – Hohe Feinstaubbelastung verhindern, vulnerable Gruppen schützen 

Vorlagennummer

387/20 E

Behandelt am

9. Dezember 2020

Ratsinformationssystem

Beschlussentwurf

1. Die Verwaltung wird beauftragt, das Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen innerhalb des Krefelder Stadtgebietes zum Jahreswechsel 2020/2021 zu untersagen. Dies wird breitflächig bekannt gemacht; Kontrollmaßnahmen werden vorbereitet.

2. Die Verwaltung plant für den Jahreswechsel 2020/2021 eine von einem hohen zentralen Gebäude aus stattfindende Lasershow, die im Innenstadtbereich von zu Hause aus dem Fenster angeschaut werden kann.

3. Die Verwaltung wird damit beauftragt, im Q2 2021 ein Konzept vorzustellen, mit welchem Krefeld aufgrund seiner historisch tragischen Erfahrungen in der Silvesternacht 2019/2020 eine Vorreiterrolle für alternative, ökologisch nachhaltige und kulturell vielfältige Silvesterfeiern einnehmen kann.

4. Eine politische Mehrheit zur Regelung zum Abbrennen von pyrotechnischen Gegenständen nach der Covid-19-Pandemie wird 2021 neu bewertet.

Begründung

Auch in der Stadt Krefeld erkranken Bürger*innen an der Covid-19-Erkrankung, die derzeit ein pandemisches Ausmaß hat. Bedingt durch die von der Bundesregierung geplante Lockerung der Kontaktregeln um die Feiertage ist mit einem Mehr an Infektionen zum Jahreswechsel zu rechnen.

Die aktuelle Lage des Gesundheitssystems, die Gefährdung vulnerabler Bürger*innen sowie die Unkenntnis über mögliche Folgen einer hohen akuten Feinstaubbelastung auf das Infektionsgeschehen machen es notwendig, in diesem Jahr auf ein Krefelder Feuerwerk zu verzichten.

1.)  In der aktuellen Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie heißt es: „Jede Verletzung aufgrund von Feuerwerkskörpern um die Silvesterzeit ist eine zu viel. Wir sehen jedes Jahr Verletzungen mit einer höchst unterschiedlichen Bandbreite: Das geht von oberflächlichen Verbrennungen bis hin zu Amputationsverletzungen an Armen und Beinen oder auch schweren Verletzungen an den Augen. In der Silvester- nacht herrscht bei uns in der Unfallchirurgie gewöhnlich Hochbetrieb. Darauf sind wir jedes Jahr durch den hohen Personalaufwand gut vorbereitet. Dennoch ist jede mögliche Entlastung sehr wünschenswert – vor allem in Zeiten von Corona und der dadurch bedingt angespannten Personalsituation“. Die Chirurgen gehen im Durchschnitt von 50-60 Silvester- Patienten vom frühen Abend bis zum nächsten Morgen aus1.

2.)  In einer Stellungnahme des Berufsverbandes der Pneumologen aus dem Jahr 2016 werden neben dem Schwarzpulver die weiteren Noxen (u.a. Blei, Arsen, Strontiumsalze) des Feuerwerks genannt und vor den daraus folgenden Entzündungsreaktionen in der Lunge gewarnt. „Das stellt für Lungenkranke eine echte Herausforderung mit gesundheitlicher Gefährdung dar – vor allem für COPD-Patienten, die sowieso schon unter Atembeschwerden wie Atemnot, Husten und Auswurf leiden und infolgedessen möglicherweise einen Verschlechterungsschub (sog. Exazerbation) erfahren, wie auch für Asthmatiker, die aufgrund ihrer überempfindlichen Atemwege auf solche Reizstoffe eventuell mit einem bedrohlichen Asthmaanfall reagieren.“2

3.)  In einem aktuellen Review der WHO werden dezidiert die Kurzzeiteffekte auch kurzer hoher Feinstaubbelastungen zusammengefasst, in welchem insbesondere auf die erhöhte Krankheitsverlaufschwere und erhöhte Tagessterblichkeit sowie erhöhte Krankenhausaufnahme eingegangen wird.3

4.)  Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen zeigen regional eine erhöhte Morbidität und Mortalität der Coronaverläufe bei chronisch erhöhten Feinstaubbelastungen.4 Inwiefern sich SARS2-Viren an Kleinstpartikeln anheften können5 und so eine vermehrte Übertragung über Aerosole bei starker Anreicherung durch Feinstaub möglich ist, wird kontrovers diskutiert und kann aktuell nicht ausgeschlossen werden. Die Korrelation von erhöhter chronischer Feinstaubbelastung und erhöhter Rezeptordichte von ACE-2-Rezeptoren wurde aktuell beschrieben und vor einer erhöhten Vulnerabilität für das SARS-2-Virus durch diese gewarnt6.

5.)  Inwiefern ein PM10-Stundenwert von circa 1.000 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft (μg/m3) und circa 30 giftige Metallverbindungen sich auf die Covid-19-Krankheitsschwere und Virusempfänglichkeit auswirken, kann aktuell nicht eingeschätzt werden, da die bisherige Krefelder Pandemieerfahrung nur mit einem Jahresmittelwert von circa 18 μg/m3 PM10-Konzentration gesammelt wurde.7

6.) Die Wetterlage zu Silvester ist noch nicht bekannt und kann z.B. bei einer Inversionswetterlage für ein langes Anhalten der Feinstaubbelastung sorgen.

Die Zusammenschau der aktuellen Datenlage weist darauf hin, dass mit schwereren Krankheits- verläufen und erhöhter Todesfallrate durch eine akut hohe Belastung der Luft mit Feinstaub und weiteren Noxen zu rechnen wäre. Dieses Wagnis soll in Krefeld nicht eingegangen werden und ist aus ethischer Sicht nicht vertretbar. Die Partikularinteressen weniger, Feuerwerke zu entzünden, stehen hier hinter dem Gemeinwohl und der Gesundheit der Krefelder Bürger*innen und der Ent- lastung der Krefelder Gesundheitsversorgung zurück.

Dieser Antrag bezieht sich explizit nur auf den Jahreswechsel 2020/2021. Erfahrungen mit alternativen Angeboten können jedoch aus diesem Jahr zur Diskussion für die Folgejahre mit aufgenommen werden. Die tragische Erfahrung am Neujahrstag 2020 durch das Abbrennen des Affenhauses im Krefelder Zoo und die hinlänglich bekannten ökologischen Belastungen durch jährliche Silvester-Feuerwerke drängen zu einer nachhaltigen, kulturell vorbildlichen Lösung in den kommenden Jahren.


Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, Stellungnahme der DGOU: Entlastung der Krankenhäuser: Zur Diskussion um ein Böllerverbot an Silvester. 23.11.2020, abgerufen am 28.11.2020 unter https://dgou.de/presse/pressemitteilungen/detailansicht-pressemitteilungen/artikel/entlastung-der-krankenhaeuser-zur- diskussion-um-ein-boellerverbot-an-silvester/

Berufsverband der Pneumologen, Pressemitteilung. Vor Feinstaub-Belastung durch Silvester-Feuerwerk in Acht neh- men, 2016, abgerufen am 28.11.2020 unter https://www.lungenaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/- 89b693029a/
3 World Health Organization, Review of evidence on health aspects of air pollution – REVIHAAP Project, 2013

Andrea Pozzer et al., Regional and global contributions o fair pollution to risk death from COVID-19, Cardiovasculr Research, Volume 116, Issue 14, 1 December 2020, Pages 2247-2253, https://doi.org/10.1093/cvr/cvaa288
5 Leonardo Setti et al., SARS-Cov-2-RNA found on particulate matter of Bergamo in Northern Italy: First evidence, En- vironmental Research, Volume 188, September 2020, 109754, https://doi.org/10.1016/j.envres.2020.109754
Max-Planck-Gesellschaft, Luftverschmutzung als Kofaktor bei Covid-19-Sterbefällen, 2020, abgerufen am 28.11.2020 unter https://www.mpg.de/15950183/1028-chem-099020-luftverschmutzung-als-ko-faktor-bei-covid-19-sterbefaellen1

7 Umweltbundesamt, Zum Jahreswechsel: Wenn die Luft zum Schneiden ist, 2019